In der Salzburger Gemeinde Tamsweg mit Wallfahrtskirche und Fronleichnamsfiguren am Marktplatz ist die Hölle los. Von den mittelalterlichen Gassen hallen Kuhglocken und Eisenketten wider. Hinter einem blickdicht verhängten Absperrzaun warten einige Nikoläuse, Engel und fast 500 Krampusse auf ihren Lauf.

Dominique schaut mit seinen blonden Haaren, seinem schmalen Gesicht und seinen langen Wimpern nicht aus wie ein Raufbold. Nervös tritt er von einem Bein auf das andere. In wenigen Minuten darf der 17-Jährige als Nummer 40 in die wartende Menge des Tamsweger Krampuslaufs stürmen.

Mit an die 500 Krampussen zählt der Tamsweger Krampuslauf zu den drei größten der Region.
Foto: derStandard.at/Kopacka

Dafür zieht er eine holzgeschnitzte Krampus-Maske mit blutigen Narben über den Kopf. "Du kannst dich voll präsentieren. Im Kostüm bin ich ein anderer Mensch", sagt er euphorisch. Ein Ordner zieht den Bauzaun auf, und ein gutes Dutzend Krampusse stürmen in die menschengesäumte Gasse.

Mit Rute und Peitsche

Dominiques Schritte sind mit einem Mal fester, seine Körperhaltung bulliger, die Bewegungen entschiedener, was auch mit dem Gewicht des Kostüms – 25 Kilo – zu tun hat. Er poltert und faucht. Beim Zuschlagen mit Rute und Rosshaarpeitsche ist er aber zögerlicher als seine Kollegen.

Dominique ohne Maske.
Foto: derStandard.at/Kopacka

Für den Tischlerlehrling ist es erst die zweite Saison, seit er in den Verein "Original Pucher Krampusse" aufgenommen wurde. Der wurde 1984 und damit schon vor dem Krampus-Boom um die Jahrtausendwende gegründet.

Ausgetobt

Christian Petzlberger und sein elfjähriger Sohn Michael aus Mauterndorf laufen als rote Teufel in einer Gruppe vor Dominique. Christian ist seit 16 Jahren aktiver Krampus. Austoben muss er sich nicht mehr. Dafür lernt nun sein Sohn als jüngster Krampus im Lauf, wie es ist, seine Schulkameraden hauen zu dürfen.

Dem Vater geht es darum, ein "guter" Krampus zu sein. Dazu zählen die richtige Körpersprache, dass man Kindern nicht nur Angst machen, sondern auch nehmen kann und, ganz wichtig, eine gute Maske.

Keine Zombies, keine Aliens

Dafür hat der gelernte Elektriker mit dem Maskenschnitzen begonnen, seit vier Jahren sogar beruflich. Kunden, die bei ihm allerdings Zombie- oder Alienmasken bestellen, lehnt er ab. Echte Larven seien urig und erdig und nicht blutig. Außerdem sei das Menschenähnliche am Krampus meistens angsteinflößender als das Abstrakte.

Inzwischen wollen seine Kunden die fertigen Masken schon Anfang November abholen, "für Fotoshootings auf Facebook". Außerdem beginnen die Läufe immer früher. Traditionell ist der 5. Dezember der Tag für die wilden Krampusse. Sie kündigen den Nikolaus an und knöpfen sich die unartigen Kinder vor.

Maske aus Holz mit türkischen Steinbockhörnern im Werkraum von Maskenbauer Christian Petzlberger.
Foto: dertandard.at/von Usslar

Die Erinnerungen an Krampuskränzchen während seiner Jugend bringen ihn zum Lachen. "Kränzchen klingt lieb, aber damals ist es da zugegangen. Heute wird man für jeden blauen Fleck verklagt."

Er erzählt mit einer Mischung aus Stolz und Distanz, wie sich die Mädchen Toilettenpapier in die Hosen stopften, um sich vor seinen Rutenhieben zu schützen, oder wie seine Pass, also die Krampus-Gang, durch die Fensterscheiben in das Gasthaus einfiel.

Krampusregistrierung

Beim Lauf in Tamsweg sind einige Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um Vorfälle wie kürzlich in Kärnten zu vermeiden, wo eine Frau durch Krampusschläge eine Lungenembolie erlitt (DER STANDARD berichtete). Jeder Läufer ist registriert und muss seine Nummer sichtbar am Kostüm anbringen. Die Route ist festgelegt und mit Absperrgittern umzäunt, Ordner in Warnwesten maßregeln übermütige Krampusse.

Die gefährliche erste Reihe

Wer sich hinter das Gitter in die erste Reihe stellt, darf sich trotzdem nicht in Sicherheit wiegen, die Hiebe gehen durch. Für Michael ist das ein machtvolles Gefühl: "Die Kinder in der Schule sagen, wenn sie den Namen meiner Krampusgruppe hören, dann stellen sie sich nicht in die erste Reihe, sondern drei Reihen dahinter."

Kontrolle und Macht

Sich einmal wie der Stärkste zu fühlen geht mit Rute und Peitsche leicht. Schwieriger ist das richtige Maß an Gewalt. "Du musst dich selbst kennen, du musst dich einschätzen können – was kannst du tun, was darfst du tun, wie weit kannst du gehen?", sagt Dominique.

Dominique als weißer Krampus.
Foto: derStandard.at/Kopacka

Er genießt die Macht, die er über die Kinder hat – und tätschelt ihnen den Kopf, nachdem das aufgerissene Maul mit den fauligen spitzen Zähnen seiner Maske ihnen einen Schrecken eingejagt hat. (Maria von Usslar, DER STANDARD, 5.12.2014)